Lange schon ist Hörde keine eigenständige Stadt mehr. Und obwohl irgendwann unter dem Namen Dortmund-Hörde eingemeindet, kann jeder, wenn er sich die Zeit nimmt und einen Spaziergang durch Hörde unternimmt, noch an vielen Orten die ehemalige Stadt erkennen: Zum Beispiel an den beiden schönen Kirchen, dem Postamt, dem alten Bankgebäude oder an den vielen Plätzen, an denen große, alte Platanen einen öffentlichen Raum beschirmen. Bei einem Gang durch den Stadtkern lohnt auch ein Blick nach oben, um – neben zugegebenermaßen auch sehr zweifelhaften Bauten der 80er und 90er Jahre – viele wunderschöne Häuserfassaden der Gründerzeit und aus der Anfangszeit des 20. Jahrhunderts zu bestaunen.
Auch gab es einmal einen Bahnhof in Hörde. In seinem besten Zeiten mit einem Buchladen ausgestattet und einer Gaststätte, später auch mit einem CD-Verleih. Neben dem kleinen Bahnhofsvorplatz stand eine große Kastanie, deren Blätter sich, je nach Jahreszeit, in leuchtenden Farben vor dem blauen Himmel abhoben. Oft sah man dort im Herbst Schulkinder, die, auf den Bus wartend, Kastanien vom Boden aufsammelten. Von Süden her, über die Hörder Brücke kommend, genossen die Menschen, dank des Rückbaus des Sparkassengebäudes, den freien Blick über den alten Bahnhof auf ihre kleines Stadtzentrum – mit der physischen Annäherung ging auch eine visuelle und emotionale Annäherung einher. Doch dies ist Vergangenheit, den Bahnhof gibt es nicht mehr.
Der alte Hörder Bahnhof ist abgerissen, das neue Gebäude steht schon fast vollständig … und treibt – zumindest uns – bei jedem Passieren Tränen über so viel Geschmacklosigkeit und baukulturelle Ignoranz in die Augen. Durch den Beton-Neubau des Hörder Bahnhofs wird die Hörder Bahnhofsstraße zu einer dunklen, zugigen Schlucht und Hörde beliebig. Der Wiedererkennungspunkt Bahnhof musste einem Betonklotz weichen, der hässlicher nicht sein kann. Ein Betonklotz mit dem sich keiner identifizieren kann, denn er könnte in jedem beliebigen Stadtteil stehen. Das Konzept dahinter scheint: Schneller Konsum billiger Waren in Anti-Ästhetik-Architektur.
Was andernorts unter Denkmalschutz gestellt und so zur Basis der lokalen Identifikation und zu einem Ankerpunkt des öffentlichen Lebens wird, wurde hier jahrelang systematisch vernachlässigt und dann abgerissen. Was im Wikipedia-Artikel über den alten Hörder Bahnhof eher abwertend mit „Funktionsbau der 50er Jahre“ beschrieben wird, war tatsächlich auch funktional! Er hat dezent zum Funktionieren dieses Stadtteils beigetragen, ihn nicht erdrückt oder verschandelt. „Form follows function“ eben!
Das kann von dem Neubau nun wahrlich nicht behauptet werden. Selbst wenn wir unbedingt mehr Einkaufsmöglichkeiten oder Fastfood-Läden bräuchten, wer will schon in einem Betonklotz einkaufen oder essen. Da hat doch sicherlich jeder bessere Ideen, in welcher Art Architektur man diese Grunddaseinsfunktionen gern ausführen würde. Zudem: Warum brauchen wir noch eine Drogeriekette, warum noch mehr Schuhgeschäfte und – nein, da gehört noch nicht mal die Frage nach einem Sinn hin…wir brauchen definitiv kein weiteres Fastfoodlokal. Wozu gibt es eigentlich die Geschäfte in der Hörder Fußgängerzone? Wäre es nicht besser, die Infrastruktur dort zu erhalten und zu stärken? Die Reisenden, die am neuen Bahnhof ein-, aus- und umsteigen, sollen scheinbar das Bahnhofsgebäude gar nicht erst verlassen; ob so das Konzept von mehr Kundschaft für Hörde aufgeht?
Die Bäume sind abgeholzt, der Vorplatz verschwunden…Die Kinder die einstmals Kastanien vom Boden aufhoben und in ihre Taschen steckten, werden demnächst an der Kasse des Burger-Ladens in der Schlange stehen, bevor sie ihren Bus nehmen. Gehe ich heute von Süden kommend über die Hörder Brücke, sehe ich keine Kastanie mehr und keinen alten Bahnhof im Dornröschen Schlaf. Ich sehe etwas Hässliches, was keiner braucht. Und ich schaue in die vielen ratlosen Gesichter von Menschen, die auf der Brücke stehengeblieben sind und sich alle die gleiche Frage stellen: Was soll das? Zu allem Überfluss wird dem Klotz ein riesiger Klotz als Krone aufgesetzt, der sogenannte „Wolkenbügel“. Doch von der Leichtigkeit, die dieser Name suggeriert, ist die Realität weit entfernt. Sämtliche Sichtachsen sind durch das Gebäude durchtrennt worden, der Blick auf die alten Häuser, auf den Florian oder das Industriedenkmal auf Phoenix West sind eingeschränkt, eine Orientierung in der Stadt schwieriger.
Selbst wem das Bauhausmotto „Form follows function“ zu kühl ist: Auch der Versuch, mit diesem Klotzaufsatz zumindest dem Motto Oscar Niemeyers „Form follows fantasy“ gerecht zu werden, ist hier gründlich schief gegangen. Die Lokalpresse feiert den Bau des Bahnhofs als Ankunft des „Modernen Hörde“ – denkt das ernsthaft irgendjemand? Dass Bauten wie dieser neue Bahnhof, Hörde als Ortsteil in irgendeiner Weise lebenswerter machen oder innerhalb der Stadt Dortmund oder über sie hinaus profilieren? Wohl kaum! Dieses Bauwerk ist ein Ausdruck von fehlerhafter Stadtteilpolitik, Geschmacklosigkeit und ein Kniefall vor Investoren, die nur ihren eigenen Profit im Auge haben, denen das lokale Umfeld aber einen Dreck wert ist.
Dieses neue Gebäude, welches nun – sollte uns nicht ein gnädiges, punktuelles Erdbeben davon erlösen – die nächsten Jahrzehnte dort stehen wird, ist aber auch Ausdruck von mangelndem Protest und Gleichgültigkeit der Bürger. Es sollte uns bei jedem Anblick eine Erinnerung sein, uns rechtzeitig zu informieren, uns einzumischen, in das, was mit unserem Stadtteil passiert und von unseren gewählten Vertretern einzufordern, sich kreativer und verantwortungsbewusster mit der Stadtentwicklung auseinanderzusetzen.
Er ist schön, dass die Bahnsteige erhöht wurden und das Ein- und Aussteigen nun erleichtert ist, aber das hätte doch nun wirklich auch ohne den Bau dieses Betonklotzes mit Metallplattenverschalung erfolgen können. Es ist zu spät für den alten Bahnhof, aber der neue wird als Mahnmal dafür stehen, sich künftig früher einzumischen, dafür, der Deutsche Bahn AG in ihrem Agieren stärker entgegen zu treten und sich einzusetzen dafür, dass Städtebau und Architektur wieder als Wert erkannt und kommuniziert und uns nicht jeder Ramsch als „Modernes Hörde“ verkauft wird.
Sollten wir jedenfalls demnächst im Lotto den Hauptgewinn ziehen oder ein unbekannter reicher Verwandter uns sein Vermögen hinterlassen, wir werden dieses neue Gebäude kaufen und schnellstmöglich abreißen lassen!
Alter Hörder Bahnhof: 1950er Quelle: https://www.ansichtskarten-center.de |
Alter Hörder Bahnhof: 2011 |
Neuer Hörder Bahnhof: 2012 |
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