Dienstag, 21. April 2009

Hosen runter, Schwanzvergleich!


Friedemann Tischmeyer sagt den lautesten Alben den Kampf an

Das Problem ist mir durch langjährige Studioarbeit mit jungen Bands bestens bekannt:
Alle Erwartungen der jungen Leute konzentrieren sich fast ausschließlich darauf, das ihre CD am Ende so richtig knallt. Die Musikindustrie hat es seit 20 Jahren vorgemacht und einen Lautstärke-Standard an den Tag gelegt, welcher erstens als semi-professioneller Studiobetreiber trotz diverser Softwarepusher wahrlich schwer zu erreichen ist und zweitens ein Empfinden von Musik gefördert hat, welches die Qualität eines Songs an der Lautstärke misst.
Im Bewerbungssektor, bei Schreiberlingen diverser Gazetten sowie einschlägigien A&Rs ging eine CD, die es nicht auf den aktuellen Industriestandard von nur 3 db Dynamikschwankung brachte, schnell mal unten durch.
Für den Laien ein kurzes Erklärungsmodell:
Ein leiser Ton im Song besitzt logischerweise wenig Lautstärke, gemessen in Dezibel (db), ein lauter Ton viel. Über dem lautesten Ton des Songs liegt der „Headroom“, der Freiraum bis zur Übersteuerung. Nach dem Studiomix passiert in einem Masteringstudio mit der Aufnahme simpel gesagt folgendes: Der Dynamikbereich zwischen den leisen und den lauten Tönen wird verkleinert, der komplette Song in seinen Wellenformen „zusammengeschrumpft“. Diese durchaus kompaktere Wellenform kann dann in der Gesamtlautstärke weiter in den Headroom hochgezogen werden als der vorab lauteste Ton der Aufnahme. Als Ergebnis wirkt der Song kompakter und lauter.
Diese Technik wurde in den letzten 20 Jahren so verfeinert, das wir nun am Ziel sind: Es geht nicht mehr lauter, die Spitze ist erreicht! Das ist die gute Nachricht. Die schlechte ist, dass die lautesten Songs unserer Zeit keinerlei natürliche Dynamik mehr besitzen, soll heißen, alle Töne matschen auf einer Lautstärke munter vor sich hin. Als Ergebnis hat man eine CD, die man nach drei Songs abschalten muss weil einem danach die Ranunkel bimmelt. Spitzenreiter dieser Disziplin sind momentan Metallica mit ihrem Album „Death Magnetic“ (2db Dynamikschwankung), aber auch „Stadium Arcadium“ von den Red Hot Chili Peppers spielt ganz vorne mit.
Langsam stellen sich hoch bezahlte Tontechniker die Frage, weshalb man an solchen Alben vorab mit empfindlichstem Equipment monatelang produziert um feinste Nuancen in den Songs zu verändern, wenn am Ende der gesamte Mix (!!) bis zum Erbrechen durch einen Brickwall-Limiter gewürgt und sämtlicher Dynamik beraubt wird.

Seit dem 15. Januar 2009 soll sich das ändern.
Friedemann Tischmeyer, Mastering Engineer und Autor zahlreicher Tontechnikbücher, gründete die Non-Profit Organisation „Pleasurize Music Foundation“ (www.pleasurizemusic.com) die sich die Abkehr vom Lautheitswahn zum Ziel gesetzt hat. Hinter ihm stehen schon jetzt über 1100 international namenhafte Engineers und Produzenten, Musiker und Musikliebhaber. Ziel ist die Einhaltung eines Standards von mindestens 14 db durchschnittlicher Dynamik in einem Song und dadurch bessere Klangqualität für alle Formate sowie die Einführung einer Kennzeichnung durch die Plattenfirma auf der CD selbst. Ab Juli 2010 soll der 14 db Dynamikumfang in der Pop- und Rockmusik flächendeckend als Lautstärke-Standart gelten. Damit wäre jede CD gleich laut (so wie die Filmindustrie bereits 1970 für sich einen Lautstärkestandart erhob), die Musik wieder erträglich, interessant und hörenswert und auch die Frustration verschwunden, indem sich eure Fans wieder an euren Songs erfreuen, statt zu mosern, das man eure CD immer viel lauter drehen muss als die von den Red Hot Chili Peppers.

Unterstützt die „Pleasurize Music Foundation“ mit eurer Stimme:
www.pleasurizemusic.com

Hier gibt es außerdem ein Plug-In als VST (ab Mai auch RTASund AU) zum freien Download, mit dem ihr den Dynamikpegel eurer Produktionen messen könnt.
Zum Abschluss ein paar Dynamikangaben bekannter Alben, gefunden in einem Artikel von Fritz Fey:

1987 - Michael Jackson – Bad -13 db Dynamikschwankung
1991 – REM – Loosing My Religion – 12 db Dynamikschwankung
1994 - Soundgarden – Black Hole Sun – 9 db Dynamikschwankung
1997 – Eagle Eye Cherry – Safe Tonight – 4 db Dynamikschwankung
1999 – Red Hot Chili Peppers – Californication – 3db Dynamikschwankung

Ab hier wurden die Alben im Rocksektor brutal.

- C.